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Peter J. König im Gespräch mit Ulrich Wickert über sein Buch "Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen"

Lieber Ulrich Wickert, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen" auf  "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert. Dazu möchte ich heute einige  Fragen an Sie richten.


Peter J. König: Hätten Sie dieses Buch auch geschrieben, wenn anstatt Emanuel Macron Marine Le Pen oder Francois Fillon die Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen hätten und wenn ja, welchen Tenor hätte Ihr Buch dann gehabt, im Unterschied zu dem jetzigen Original?

 Ulrich Wickert
Foto: Paul Ripke
Ulrich Wickert: Aber natürlich. Das Buch ist ein Sittengemälde der Fünften Republik und erklärt, weshalb die Franzosen immer wieder unter Identitätskrisen leiden und wohin das führt. Der Tenor wäre demnach auch der gleiche geblieben.

 Peter J. König
Peter J. König: Frankreich ist Ihr zweites Zuhause, lieber Herr Wickert, würden Sie einmal bitte skizzieren, wie sich nach Ihrer Wahrnehmung das Land verändert hat, seitdem Sie es lieben und schätzen gelernt haben. Gibt es überhaupt noch das typische Frankreich und die sprichwörtliche Lebensart: Leben wie Gott in Frankreich?

Ulrich Wickert: Für viele Menschen gilt es immer noch, zu leben wie Gott in Frankreich. Allerdings kann ich Ihnen schlecht schildern, wie sich meine Wahrnehmung über sechzig Jahre hinweg verändert hat. Das ist ein so langer Zeitraum, in dem man selbst nicht merkt, wo und wann sich in der Einstellung zu dem Land etwas geändert hat.

Peter J. König: Frankreich setzt sich aus vielen Regionen zusammen, die alle durch ihre Mentalitäten geprägt sind, wie schafft es die Zentralregierung alle unter einen Hut zu bringen und daran anknüpfend an die aktuelle Lage in Katalonien, gibt es gleiche ernstzunehmende Abspalttendenzen etwa in der Bretagne oder im französischen Baskenland? 

Ulrich Wickert:  Frankreich ist und bleibt ein Land der Regionen, das versuche ich immer wieder in meinem Buch zu beschreiben. Paris aber bleibt das unumstrittene Zentrum. Abspaltungstendenzen wie in Katalonien gibt es jedoch nicht. Dazu hat die Regionalisiserung in den letzten Jahrzehnten den einzelnen Gegenden doch zuviel eigene Autorität überlassen.

Peter J. König: Nun eine persönliche Frage: Als Sohn aus deutschem Haus sind Sie ja durch die diplomatische Tätigkeit ihres Vaters in ganz jungen Jahren nach Paris gekommen, wie haben Sie diesen Wechsel nach Frankreich ganz persönlich empfunden, wurden sie schnell in der kulturellen Mentalität heimisch oder erst peu à peu und sehen Sie sich als Inhaber beider Identitäten, der deutschen und der französischen? 

  Ulrich Wickert
Foto: Paul Ripke
Ulrich Wickert: In Frankreich wurde ich sofort in eine französische Schule gesteckt, nach einem dreiviertel Jahr konnte ich fließend Französisch. Ich war von 13 bis 16 in der französischen Schule, und das sind entscheidende Jahre in der Ausbildung. Ich habe die wichtigen Daten der Geschichte und Literatur aufgesogen. Und gerade dadurch wird die Identität vermittelt. Später war ich zehn Jahre lang ARD-Fernsehkorrespondent in Paris. Dennoch bin ich eher deutsch von meiner Identität her. Denn ich lebe und arbeite in der deutschen Sprache und schreibe für ein deutsches Publikum.

 Links: Peter J. König, rechts:Ulrich Wickert
Frankfurter Buchmesse 2017
Peter J. König:  Frankreich ist das Land der Aufklärer, der Französischen Revolution und auch von Napoleon, insgesamt kontinuierliche, jahrhundertealte Tradition. Wie weit sind diese Werte im heutigen Zeitalter noch bestimmend und was bedeutet die angestrebte Revolution von Macron für die traditionelle französische Gesellschaft mit ihren Gewerkschaften, dem Adel und den Intellektuellen?

Ulrich Wickert: Im Gegensatz zu Deutschland, wo man alles Historische vor 1945 - wegen der Nazis, der KZ und der Vernichtung der Juden - aus der Identität streichen möchte, beziehen sich die Franzosen selbst bei aktuellen Streiks auf die französische Revolution oder gar noch früher. Die französische Identität kann man nur mit Jahrhunderte langer historischer Entwicklung erklären.

Peter J. König: Sie schreiben Ludwig der XVI wurde zwar geköpft, aber die Franzosen wünschen sich noch immer den Habitus eines Königs bei ihren Präsidenten, gilt dies eigentlich nur für den äußeren Glanz, und wie sieht dies bei politischen Entscheidungen aus? 

Ulrich Wickert: Der König war zweierlei: einerseits Monarch, anderseits der Souverän. Nach seiner Hinrichtung ging die Souveränität auf das Volk über. Das aber kann die Souveränität nur ausüben, wenn es sie jemandem verleiht, am besten einer starken Person. Ganz im Sinne der Anekdote, die ich gern zitiere. Frage an einen Bauern zur Zeit der Revolution: "Bist du für die Republik?" Antwort: "Ja, Hauptsache Napoleon ist König."

Peter J. König: Nun ein Einblick in die französische Familie, existiert das patriarchalische Generationenbild noch immer in der gehobenen französischen Gesellschaft und haben diese Familien weiterhin eine weitaus festere Bindung, als man sie etwa bei uns kennt? 

  Ulrich Wickert
Foto: Paul Ripke
Ulrich Wickert: Ja, die Franzosen leben zunächst in ihrer Großfamilie. Dort suchen sie ihre Freunde, dort fühlen sie sich geschützt, dort pflegt man die Solidarität.

Peter J. König: Sie erzählen in Ihrem Buch vom traditionellen Kastenwesen, etwa bei den jungen Ärzten oder auch Diplomingenieuren, von ihren Ritualen und ihren Initiationsprüfungen, gilt dies auch für den nicht akademischen Bereich, etwa beim alteingesessen Handwerk und welche Bedeutung ist damit verbunden? 

Ulrich Wickert: Nein, das gilt weniger im Handwerk, weil es dort nicht die Elite-Ausbildung gibt.

  Peter J. König
Peter J. König:  Warum gibt es mittlerweile so wenig über Frankreich hinaus bekannte Philosophen und Schriftsteller, etwa wie Michel Houellebecq, den viele von uns hierzulande ebenfalls sehr schätzen. Hat dies auch mit dem Stellenwert zu tun, den z.B. Sartre bei Charles de Gaulle(einen Voltaire sperrt man nicht ein) hatte und der heute vielleicht nicht mehr gegeben ist?

Ulrich Wickert: Immerhin sind in den letzten Jahrzehnten zwei Literaturnobelpreise nach Frankreich gegangen! Und es gibt in Frankreich viele spannende junge Autoren und Autorinnen, die in Deutschland gerade durch die letzte Buchmesse sehr viel Aufmerksamkeit erhalten haben. Und in der Philosophie und Soziologie entwickeln sich auch junge Frauen starkt, wir werden in zehn bis zwanzig Jahren von ihnen hören.

Peter J. König: Zum Schluss, lieber Herr Wickert, ein kleiner Ausflug in Ihr heutiges Paris: Was sollte man sich bei einem Besuch abseits aller ausgetretenen Pfade unbedingt ansehen, um dann völlig begeistert sich beim Essen in welchem speziellen Restaurant, Bistro oder welcher Brasserie zu erholen?

Ulrich Wickert: Das können Sie alles in dem Buch "Mein Paris" nachlesen!


Lieber Ulrich Wickert, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Gespräch

Ihr Peter J. König 

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Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen

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