Liebe Erica Brühlmann-Jecklin, dieser Tage habe ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" Ihr Hörbuch "Sofia, eine Frau aus dem Prättigau" rezensiert. Deshalb möchte ich heute einige Fragen an Sie richten.
Hier der Link zur Rezension: http://helga-koenig-romane.blogspot.de/2017/02/rezension-sofia-erica-bruhlmann-jecklin.html
Helga König: Haben Sie sich zwecks historischer Recherche beim Schreiben des Romans häufiger an den Handlungsorten aufgehalten oder wie sonst sind sie an die detaillierten heimatkundlichen Informationen gelangt?
Erica Brühlmann- Jecklin Foto: Isabelle Grubert. |
Erica Brühlmann-Jecklin: Ja, ich war an all diesen Orten, und da wir in Conters (im Prättigau) ein Maiensäss haben, blieb ich oft ein paar Tage dort zum Schreiben. Ein Lokalhistoriker fuhr mich mit einem berggängigen Gefährt auf alle Höhen. Den Weg zuoberst auf die Alp bin ich unterstützt von meinem Mann zu Fuss gegangen. Einige Orte kannte ich aus meiner Kinderzeit (z.B. die Alp Bova, wo mein Grossvater (mein Neni) sommers die Kühe weidete. Auch für die Recherche in den Archiven war ich vor Ort (Graubündner Kantonsarchiv in Chur, Archiv in Davos, Ortsarchiv Rosengarten Grüsch etc.)
Helga König |
Helga König: Welche Bedeutung haben die erwähnten Volkslieder in Ihrem Hörbuch?
Erica Brühlmann-Jecklin: Die Lieder im Buch haben für mich eine wichtige Bedeutung. In unserer Familie wurde viel gesungen, die Lieder begleiteten mich durch meine Kinderzeit. Obwohl bei uns auch Klassische Musik eine wichtige Rolle spielte, kam auch die Volksmusik nie zu kurz. Die Brüder spielten Handharmonika, eine Schwester spielte Zither. Ich weiß, dass viele Frauen der Generation von Sofia die Volkslieder als Lebenshilfe nahmen in einer Zeit, wo es noch keine Psychologen oder Psychotherapeuten gab. Da hatte das Singen eine wichtige supportive Wirkung und sie verband auch die Nachbarn untereinander.
Helga König: Können Sie unseren Lesern etwas über den Beginn und die Fortentwicklung der Emanzipation der Frau in ländlichen Gebieten in der Schweiz berichten?
Erica Brühlmann-Jecklin: Da ist die Frage, was genau unter Emanzipation verstanden wird. Das Frauenstimmrecht erhielten die Schweizer Frauen erst 1971, und ein Halbkanton (Appenzell Innerrhoden) sperrte sich sogar so lange dagegen, bis das Bundesgericht in einem Entscheid vom November 1990 auch diesem Kanton das Frauenstimmrecht befahl. - Durch das Fernbleiben der Männer während den Kriegszeiten von Haus und Hof waren die Frauen aber im praktischen Sinn gezwungen, sich zu emanzipieren. Sie schmissen ja die ganzen Aufgaben, erzogen die Kinder, sorgten mit zusätzlicher Arbeit für etwas Bargeld, da der Sold der Männer keinen Lohn ergab.
Helga König: Wann endete in der Schweiz das Züchtigungsrecht des Mannes im Hinblick auf Ehefrauen und Kinder?
Erica Brühlmann- Jecklin Foto: Isabelle Grubert. |
Erica Brühlmann- Jecklin: Es sind noch nicht viele Jahre her, seit in der Schweiz gesetzlich verankert wurde, dass Gewalt am Ehepartner oder an den eigenen Kindern als Offizialdelikt strafverfolgt werden muss. Vor dem 1. April 2004 wurde dies nur geahndet, wenn eine Anzeige erfolgt war, etwas, wovor Frauen sich oft scheuten. Seit der Gesetzesänderung im Strafgesetzbuch ist häusliche Gewalt kein Tabu mehr.
Helga König: Haben die frühen Zeiten des Tourismus zur materiellen Selbstständigkeit und zu einem veränderten Selbstbewusstsein der Frauen in der fokussierten Gegend beigetragen?
Helga König |
Erica Brühlmann-Jecklin: Gerade bei Frauen wie Sofia ganz sicher schon. Sie wirtete ja im Haus, wo bereits ihre Eltern dies taten, sie wuchs in diese Aufgabe hinein, und dank der Pension kamen regelmäßig auch ausländische Touristen ins Rätia. Ein Beispiel ist die Dame aus Köln, welche dann einem der Kinder Patin wurde. In ein Restaurant wie das Rätia kamen sowohl Einheimische als auch Feriengäste, weil die Küche einen guten Ruf hatte.
Helga König: Sie erwähnen in Bezug auf Sofias Gelderwerb auch Strickmaschinen. Waren Handarbeiten dieser Art in der Region üblich und wo wurden die Produkte vermarktet?
Erica Brühlmann-Jecklin: Strickbegabte Frauen konnten sich so etwas zusätzlich Geld verdienen. Sofia war eine sehr begabte Handarbeiterin, sie bestrickte nicht nur Mann und Kinder, sondern auch viele Exponenten im Dorf wie Lehrer, Pfarrer etc. Eine Vermarktung darüber hinaus gab es jedoch wohl kaum.
Helga König: Was war Ihnen bei der Gestaltung von Sofias Charakter besonders wichtig?
Erica Brühlmann- Jecklin Foto: Isabelle Grubert. |
Erica Brühlmann-Jecklin: Mir war wichtig, eine Frau zu zeigen, wie es sie im Prättigau, aber wohl auch in anderen Bergtälern, gab, eine Frau stellvertretend für viele Frauen, die sich nicht unterkriegen ließen und dennoch halt auch Tiefs und Traurigkeiten erlebten. Wichtig war mir das Hervorheben der liebenden Mutter, der immer wieder hoffenden Ehefrau und der Frau, die es aber rechtzeitig wagt, was bis heute viele Frauen von Alkoholikern nicht trauen, nämlich zu gehen. Eine tapfere Frau, die nicht hadert mit dem Schicksal, sondern es anpackt.
Helga König |
Helga König: Hat Sofia nach Ihrer Meinung den falschen Mann geheiratet?
Erica Brühlmann-Jecklin: Nein, auf keinen Fall. Zum einen kamen da doch diese Kinder, und Sofia weiß ja sogar bis zuletzt, dass es diese alle, ja auch ihren behinderten Mathis genau so geben musste, wie es ihn gab. Man kann auch fragen: Hat Peter die richtige Frau geheiratet? Auch hier würde ich meinen: Ja, auf alle Fälle, denn manch andere Frau wäre an seiner Alkoholkrankheit zerbrochen. Nicht so Sofia.
Helga König: Wie beeinflussten die Ereignisse des 1. und 2. Weltkrieges die wirtschaftlichen Bedingungen des Prättigaus?
Erica Brühlmann- Jecklin Foto: Isabelle Grubert. |
Erica Brühlmann- Jecklin: Zum Teil ist dies im Buch enthalten. Es gab Rationierungsmarken, weil Lebensmittel knapp wurden. Im zweiten Weltkrieg wurde von Bundesbern her auch die sog. "Anbauschlacht" eingeführt. Damit wurde die Selbstversorgung so weit wie möglich Pflicht. Jede Familie musste irgendwo Gemüse, Kartoffeln etc. anpflanzen. Das ging soweit, dass sogar auf dem bekannten Bellevueplatz in Zürich, wo jeden Frühling die Zünfte ihr Sechseläutenfest feiern, Kartoffeln angepflanzt wurden. Dadurch mussten die wenigsten wirklich Hunger erleiden, - aber üppig zu essen hatte in der Mittel- und Unterschicht niemand. Die Mahlzeiten waren entsprechend karg und eintönig.
Helga König: Hat Sofia Ihre Kinder bewusst zu freien Menschen erziehen wollen?
Erica- Brühlmann-Jecklin: Ich vermute, sie tat das so halbbewusst. Bereits ihre Mutter Karolina war eine starke Frau. Somit hatte auch Sofia ein gutes Vorbild, und das lebte sie ihren Kindern vor. Die Söhne hat sie außerdem auch schulisch sehr gefördert. Mädchen wurden damals noch eher zum Heiraten und Haushalten erzogen, dennoch versuchte Sofia auch ihre Töchter einen Beruf erlernen zu lassen, genau so, wie Karolina Sofia an einen Ort hingeschickt hatte, wo diese das Kochen richtig gut lernen konnte. Gegen eine Ausbildung von Mädchen stemmte sich zu Karolines Zeiten eher der Vater, also Karl, während Sofias Mann Peter ja nicht mehr mitentschied, als ihre Töchter ins Ausbildungsalter kamen. So konnte sie ihre Kinder ohne Widerstände fördern. Ihr war auch ganz wichtig, dass ihre Kinder neben dem Singen auch ein Instrument lernten.
Erica Brühlmann- Jecklin Foto: Isabelle Grubert. |
Helga König: Was unterscheidet Ihrer Meinung nach in der Reifung der Persönlichkeit Sofia von ihrem Mann Peter?
Erica- Brühlmann-Jecklin: Peter hat als junger Bursche ja grundsätzlich dafür gekämpft, eine gute Ausbildung machen zu können. Er hätte von der Intelligenz her das Zeug für weit mehr gehabt. Aber ich denke, der Alkohol stumpfte ihn ab und verhinderte eine gründlichere Reifung. Allerdings muss man ihm zugute halten, dass er in seinen letzten vier Lebensjahren davon etwas aufholte.
Sofia hatte sowohl vom Elternhaus als auch von ihrem Charakter her alles für eine gute Reifung, sie war bereit zu lernen bis ins hohe Alter. Und sie hatte eine gute Selbstreflexion, etwas, was ich für die innere Reifung und für das innere Wachstum als unverzichtbar erachte.
Liebe Erica Brühlmann-Jecklin, ich danke Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Gespräch.
Ihre Helga König
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Als ich in der Schweiz lebte, hatte ich die in dem Roman beschriebenen Ereignisse ab und zu miterlebt.
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