Lieber Herr Prof. Werner, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Womit ich nie gerechnet habe" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.
Helga König: Was empfehlen Sie Menschen konkret, um sich für Evidenzerlebnisse zu öffnen?
Prof. Götz W. Werner Foto: Daniel Torz |
Götz W. Werner: Sich mit den Menschen und der Welt vertraut zu machen, sich für sie zu erwärmen. Es braucht Neugier und Offenheit. Wer so in die Welt schaut, dem wird schließlich klar werden, was an der Zeit ist. Wer hingegen distanziert oder "cool" bleibt und nichts an sich heranlässt, wird auch keine Ideen haben, was er tun kann. Die Voraussetzung für Evidenz, für innere Gewissheit und Sicherheit ist Menschen- und Weltinteresse. Interesse ist das Mindeste, die Steigerung wäre Anteilnahme – ist man wirklich bereit, Anteil an den Sorgen und Nöten seiner Mitmenschen zu nehmen? – und der "Superlativ" ist Liebe. Wer andere Menschen liebt oder wer liebend in die Welt schaut, der muss nicht lange fragen, was zu tun ist. Einer liebenden Mutter ist ja auch sofort klar, was ihr Kind braucht. Liebe macht sehend – und nicht blind.
Helga König: Sie unterscheiden sich in vielen Belangen von dem Unternehmerbild, das allgemein als "Klischee" im Raum steht. Wie kann nach Ihrer Einschätzung überzeugende Aufklärung aussehen, damit ein ethischer Ansatz in vielen Firmen die Basis allen Handelns wird, wo doch dieser ethische Ansatz augenscheinlich nachhaltigen Erfolg verspricht?
Götz W. Werner: In Unternehmen wird heute schon vieles richtig gemacht. Die Frage ist nur, ob die Verantwortlichen sich dessen bewusst sind – und die Wirtschaft ist ein Spiegel des gesellschaftlichen Bewusstseins. Ein Unternehmen kann nur die Dinge tun, die die Kunden auch verstehen. Solange Konsumenten zuerst auf den Preis schauen, werden Unternehmen sich vorrangig um günstige Produkte und Dienstleistungen bemühen. Eine Gesellschaft hat die Unternehmen, die sie verdient. Hier ist in den vergangenen Jahren sehr viel geschehen. Als wir bei dm in den 80er Jahren Bioprodukte eingeführt haben, sind wir belächelt worden. Heute gibt es im Lebensmitteleinzelhandel – wozu auch die Drogerien gehören – niemanden mehr, der nicht auch Bio-Produkte anbietet.
Helga König: Achtsamkeit scheint eine wichtige Grundlage Ihres erfolgreichen Handelns zu sein. Ist es die Gier, die viele Kaufleute unachtsam werden lässt?
Götz W. Werner: Gier würde ich es nicht nennen. Es gibt in jedem Menschen den Hang dazu, das Erreichte zu konservieren. Das finden Sie auch in Goethes Faust: "Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehen!" Sobald man das Erreichte erhalten will, liegt der Fokus auf der Vergangenheit – anstatt aufmerksam die Gegenwart und die Spuren der Zukunft im Heute zu beobachten.
Helga König: Sie scheinen aggressiver Werbung mehr als nur skeptisch gegenüber zu stehen. Laufen Unternehmen in eine fatale Falle, wenn Sie sich in die Hände solcher Reklamefirmen begeben, die ja sogar vereinzelt die Strategie umsetzen, Menschen an ihren schlechtesten Seiten wie Gier, Neid, Missgunst etc. zu packen?
Prof. Götz W. Werner Foto: Daniel Torz |
Götz W. Werner: Jedes Unternehmen muss sich fragen, welche Kundschaft es erreichen will. Wir haben bei dm das Ziel, eine bewusst einkaufende Stammkundschaft anzusprechen. Und das Bewusstsein spricht man eben anders an als die Triebe. Man sollte die Menschen – im Sinne Goethes – stets so behandeln, wie sie sein könnten. Darum stehe ich Werbebotschaften, die die Triebe ansprechen, skeptisch gegenüber. Meinen Studenten stelle ich gerne die Aufgabe, die Werbebotschaften in einem Magazin aufmerksam zu beobachten. Es ist dramatisch, wie wenige den Menschen als Bewusstseinswesen und wie viele ihn als Triebwesen ansprechen.
Helga König: Ähnlich wie Sie, habe ich die Beobachtung gemacht, dass Hierarchien für Unternehmen nicht wirklich zweckdienlich sind, weil sie Neid und Missgunst sowie energiefressendes Konkurrenzdenken schüren und sich negativ auf den Erfolg einer Firma auswirken. Prozessdenken ist eindeutig die klügere Maßnahme. Bedarf diese Maßnahme eines generellen neuen Männerverhaltens, schließlich wurde den Männern über Generationen hierarchisches Denken antrainiert?
Götz W. Werner: Hier haben es Frauen sicher auch deswegen einfacher, weil sie einen anderen Arbeitsbegriff haben als Männer. Sie haben einen anderen Blick für die Aufgaben in einer Familie, in einer Gemeinschaft als Männer, die manchmal erst tätig werden, wenn etwas bezahlt wird – also wenn eine Tätigkeit im gesellschaftlichen Bewusstsein als Arbeit anerkannt ist. Dieses Schauen nach "oben", auf diejenigen, die über den Lohn entscheiden, ist nicht mehr zeitgemäß. Oben ist bekanntlich nicht vorne. Damit ein Prozess gelingt, müssen die Beteiligten stets das Ziel vor Augen haben – also den Kunden, für den sie leisten. Damit alle den Kunden sehen können, braucht es entsprechende Instrumente. Die Menschen müssen selbst wahrnehmen können, was der Kunde will, um aus eigener Einsicht handeln zu können. Heutzutage im Informationszeitalter ist das möglich – in früheren Zeiten war das anders und damals war es auch sinnvoll, auf denjenigen zu schauen, der wusste, wo es langgeht.
Helga König: Wie notwendig ist Ausdauer, um zu wirklichem Erfolg zu gelangen und ist es notwendig, sich bei aller Ausdauer Zeitlimits zu setzen?
Götz W. Werner: Die Frage ist: Sind Sie mit Ihrer Wahrnehmung Ihrer Zeit voraus oder nicht? Unternehmer sind ja oft verrückt – ver-rückt auf der Zeitachse. Sie nehmen Entwicklungen wahr, die für die Mehrheit noch nicht real sind. Ein Unternehmer, der seiner Zeit voraus ist, braucht mehr Ausdauer als ein Unternehmer, der mit dem Zeitgeist geht. Dass man bei aller Ausdauer auch einen Blick auf die Situation haben muss, um zu bemerken, wann Ausdauer in Sturheit oder Blindheit umschlägt, versteht sich von selbst. Um dies zu bemerken, braucht es keine Zeitlimits, sondern situative Geistesgegenwart. Man muss beständig die eigenen Ziele in Frage stellen.
Helga König: Wird sich die "dialogische Führungsidee" langfristig als sinnstiftende Maßnahme an Führungsakademien und damit auch in Unternehmen durchsetzen und stehen wir eventuell am Anfang einer generellen Demokratisierung, deren Ziel der mündige Mensch ist, der sich, egal auch wo, stets auf Augenhöhe seines jeweiligen Gegenübers befindet?
Prof. Götz W. Werner Foto: Daniel Torz |
Götz W. Werner: Das ist für mich keine Frage, sondern eine Tatsache. Überall, wo Sie hinschauen, erkennen Sie die zunehmende Individualisierung. Jeder einzelne ist mehr denn je auf sich selbst zurückgeworfen.
Lieber Herr Prof. Werner, ich danke ihnen herzlichst für das aufschlussreiche Interview.
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