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Helga König im Gespräch mit Frank J. Schnitzler und Dr. Bodo Kubartz


Sehr geehrter Herr Schnitzler, sehr geehrter Herr Kubartz, vor einigen Tagen habe ich Ihr Buch "Das große Buch vom Parfum" rezensiert. Zu diesem wirklich gelungenen Nachschlagewerk möchte ich Ihnen einige Fragen stellen.


Helga König: Mit großem Interesse habe ich gelesen, dass Sie, lieber Herr Schnitzler, bereits als Kind Ihre Mitmenschen zunächst über die Nase und in der Folge erst über die Augen und Stimme wahrnahmen. Sagt der individuelle Duft etwas über den Menschen aus, beispielsweise, dass er "moralinsauer" daherkommt? :‐))

Frank J. Schnitzler
Frank J. Schnitzler: Jeder Mensch hat seinen ureigenen Körperduft. Er ist abhängig von der Talgdrüsenverarbeitung, vom Säureschutzmantel der Haut, von den angeborenen Genen und von den Essgewohnheiten der jeweiligen Person. Und das alles ist im Sommer anders als im Winter. Auch eine nicht zu unterschätzende Wirkung hat Kleidung. Synthetik kann Körperdüfte stark negativ beeinflussen. Aber den größten Einfluss hat der Ph‐Wert jeder Haut, vor allem, wenn dieser im sauren Bereich liegt. Allerdings ist das nicht so sehr oft der Fall.


Helga König: Parfums verbinden sich bekanntermaßen mit dem individuellen Duft eines Menschen. Wann wird der Duft auf der Haut zu einem individuellen Geheimnis?

Frank J. Schnitzler/ Dr. Bodo Kubartz: Da die Physiologie und der Stoffwechsel des Menschen pro Individuum unterschiedlich sind, entwickeln sich Parfums auf jedem Körper im Zeitverlauf anders. Daher ist alleine diese Tatsache schon Grund dafür, von solch einem „individuellen Geheimnis“ zu sprechen. Darüber hinaus gibt es aktuell so viele Parfums, dass sich Menschen theoretisch jeden Tag neu und anders beduften können. Dies steigert das Geheimnis um und Geheimnisvolle an einer Person, das sich zusammen mit dem Erscheinungsbild und Auftreten einstellt.


Helga König: Worin unterscheiden sich italienische von französischen Duft‐ Kreationen?

Frank J. Schnitzler/ Dr. Bodo Kubaetz: Ehemals waren französische Düfte inspiriert durch die in der Region Grasse angebauten Rohstoffe. Mit dem Bedeutungsgewinn von Paris wurde diese Verbindung aber schwächer. In Italien dominieren hingegen häufig noch Düfte, die an die Landschaft und die dort wachsenden Rohmaterialien erinnern: Bergamotte ist beispielsweise ein aus Kalabrien stammendes Zitrusgewächs, dessen Öl aus der Schale der entsprechenden Zitrusfrucht fast regelmäßig in Duftkreationen erscheint.
Beide Länder haben sehr lange Traditionen was Parfums anbelangt und unterscheiden sich am ehesten durch die Personen oder Landschaften, die Motive für die Entstehung von Düften sein können, und jeweils andere Duftakzentuierungen erfordern.


Helga König: Sie schreiben im Zusammenhang mit Ètat Libre d`Orange, "Antithéros", dass bei den Düften dieses Herstellers nicht die Wirtschaftlichkeit, sondern die Kreativität des Duftkünstlers im Vordergrund steht. Was heißt das konkret und wie wirkt sich dies auf den wirtschaftlichen Erfolg aus?

Dr. Bodo Kubartz
Frank J. Schnitzler/ Bodo Kubartz: Die Kreationen von Ètat Libre d`Orange stechen durch ihre Eigenarten hervor. Die Nasen hinter den Kreationen wurden nicht instruiert, die Düfte besonders freundlich oder angenehm für den Endverbraucher zu kreieren, ihnen wurde die Freiheit gelassen, auch “schiefe” oder anscheinend unpassende Düfte zu entwickeln. Die Duftkonzepte sind oft frech, frivol und mitunter anzüglich. “Jasmin et Cigarette” zum Beispiel erinnert an die 30er‐Jahre und Filmstars wie Greta Garbo und Marlene Dietrich, die seinerzeit schon Zigarette rauchten: ein Affront damals, der im Duft heute durch die Erinnerung an eine Zigarette schon ziemliche Verwunderung auslöst. Diese Freiheit, sich an von Duftdesigner Etiennen de Swardt entwickelten Ideen und nicht an den Geschmäckern der Endverbraucher zu orientieren, macht die Marke aus.


Helga König:  Worauf führen Sie zurück, dass Fabergé, "Brut" in den 1970ern kultig war, entsprach der Duft dem Zeitgeist und wenn ja, auf welche Weise?

Frank J. Schnitzler/ Dr. Bodo Kubartz: Brut von Fabergé war eine Umsatzrakete. Hier stimmten der Duft, der Name und die Flasche. Die Duftnote war absolut neu, jung anhaltend und wiedererkennbar. Das war bis dahin für Männer undenkbar. Denn pudrig, cremig und nicht würzig war davor nur der Damenwelt vorbehalten. Die verantwortlichen Manager wollten diesen kultigen Duft noch umsatzstärker machen und brachten Brut 33 auf den Markt, leicht veränderter Duft in einer billigeren Flasche und Packung. Und jede Drogerie o.ä. bot diesen Duft an. Aber die Kunden hatten so das Interesse an Brut verloren. Auf 2 Hochzeiten ist nicht gut zu tanzen.


Helga König: Sie schreiben, dass Guerlain, "Mitsouko" von zahlreichen Kennern als das eindrucksvollste Parfum gehalten wird, was je geschaffen wurde. Können Sie bitte kurz erläutern, weshalb?

Frank J. Schnitzler
Frank J. Schnitzler/ Bodo Kubartz: Mitsouko aus dem Jahre 1919 ist tatsächlich damals eine Höchstleistung der beteiligten Duftnasen und Jaques Guerlain gewesen. Nach dem ersten Weltkrieg wollten die Menschen radikale Veränderungen. Die in den Jahren zuvor üblichen Düfte waren oft blumig. Diesen waldigen, leicht modrigen Duft trugen Frauen, um damit Maskulinität vorzuspielen. Sie zogen sich auch männlich an, denn sie mussten oft Aufgaben der Männer übernehmen, die gefallen waren. Und der Name erweckte  die Sehnsucht nach dem fernen, für uns damals nur schwer zugänglichen, geheimnisvollen Japan. Noch heute erleben wir bei Frauen, die im Beruf schweren Belastungen ausgesetzt sind und sich in einer harten Männerwelt behaupten müssen, eine Vorliebe für Mitsouko.


Helga König: Für Sie ist Guerlain, "Shalimar" die Quintessenz der 1920er Jahre. Sie schreiben, dass seine aggressive Sanftheit unerhört und gewagt neu war. Wie darf ich mir einen Duft oder eine Frau vorstellen, die von aggressiver Sanftheit umhüllt ist?

Frank J. Schnitzler/ Dr. Bodo Kubartz: Der olfaktorische Witz und Erfolg ist oft durch die Dosierung begründet: der orientalisch‐chyprige Duft mag in geringer Dosis einen sanften Charakter der Trägerin des Duftes vermitteln, ist aber als aggressiv und „laut“ zu verstehen, sobald einige Tropfen zu viel genutzt werden. Die Balance ist oft nicht leicht zu finden oder einzuhalten und somit ist der Grat ein dünner.


Helga König: Ihre Ausführungen zu Jean Patou "Joy" fand ich sehr gut. Wäre "Joy" der ideale Duft des letzten Jahres aufgrund der Bankenkrise gewesen, ein willkommener Kontrapunkt zur erneuten depressiven Grundstimmung, analog der Zeiten als es kreiert wurde?

Frank J. Schnitzler/ Dr. Bodo Kubartz: Düfte prägen in der Regel eine bestimmte Epoche. Obwohl der Erfolg lange  nachhallt und der Duft Generationen sich erinnern lässt, ist „Joy“ auch olfaktorisch an die 30er‐Jahre gebunden und kann in dieser Art sicher nicht wiederholt werden. Das eigentlich Schöne an Parfums ist, dass man sie mit bestimmten Zeiten und Ereignissen verbindet: zur damaligen Zeit unter den damaligen Bedingungen konnte „Joy“ seine Strahlkraft und Wirkung erzielen, solche Erfolge sind selten strategisch zu wiederholen. Somit entstehen durch das erneute Riechen von Parfums nach vielen Jahren Bilder der Vergangenheit. Oftmals ist es aber auch nur die Erinnerung an einen Duft oder eine Person, die den Duft getragen hat, die uns bewegt: das wiederholte Riechen eines Duftes nach vielen Jahren der Abstinenz kann ernüchternd sein, denn was zählt ist die Erinnerung an den damaligen Moment (vom Duft begleitet) und nicht der Duft an sich.

Helga König: Mit großer Neugierde habe ich die Kreationen von Profumi di Pantelleria studiert,die man nur in wenigen sehr guten Parfümerien erwerben kann. "Aire" und "Jailia"finde ich von der Beschreibung her am interessantesten. Was haben die Düfte von Profumi di Pantelleria, was andere nicht haben?

Frank J. Schnitzler/ Bodo Kubartz: Düfte erzählen Geschichten und kreieren Bilder. Die Marke Profumi di Pantelleria verbindet Düfte mit der Historie und der besonderen Geographie der südlichsten Insel Italiens. Riechen Sie einen der Düfte und lassen Sie sich mit Hilfe des Buches und eventuell einer Duftberatung inspirieren: kann solch ein Duft auch ein anderes Bild erzeugen? Sicherlich kann er das – aber die Verbindung der Eigenart dieser Insel mit den leichten, frischen Düften verbindet sich zu einem besonderen Ensemble. Das Gesamtkonstrukt ist dann unverwechselbar und macht Sinn.

Helga König: Was rechtfertigt den Preis von Les Parfums Historiques "George Sand"?

Dr. Bodo Kubartz
Frank J. Schnitzler/ Dr. Bodo Kubartz: Wie im Buch beschrieben, gehören die bisherigen beiden Düfte von Les Parfums Historiques zum französischen Haus Maitre Parfumeur et Gantier. Die Düfte dieser kaum in Deutschland erhältlichen Marke sind bereits sehr exklusiv, noch darüber hinaus sind die durch Les Parfums Historiques formulierten Adressen an berühmte Persönlichkeiten aus der Geschichte in ihrer Anzahl limitiert und erhalten daher einen etwas höheren, weitaus aber nicht so hohen Preis wie einige andere Nischenmarkenparfums. Es handelt sich also um ein prestigeorientiertes Seitenprojekt des kleinen französischen Hauses.

Helga König: Mir hat gefallen, dass Sie im Buch auf Fotos von den jeweiligen Flacons verzichtet haben, obschon ich hübsche Flakons zu schätzen weiß, aber ich finde, dass der Fokus auf die Duftbeschreibungen orientiert, die Fantasie des Lesers mehr anregt. Was war Ihr Motiv, auf die Präsentation der Flakons zu verzichten?

Frank J. Schnitzler/ Dr. Bodo Kubartz: In der Tat sind die Illustrationen von Anja Filler, die sich ebenfalls auch durch Flakons inspirieren liess, sehr gut gelungen. Die Leserschaft wird ab und zu an gewisse Flakons direkt erinnert, sowohl aus rechtlichen, künstlerischen sowie argumentatorischen Gründen haben wir allerdings vom Abdruck von Produktfotos abgesehen. Letztere beziehen sich auf den Sachverhalt, dass die Autoren keine Marken besonders hervorheben oder gar positiver bewerten und über bewerten als andere: im Lexikon geht es um die Abdeckung der wichtigsten Parfums. Ein Abdruck von Produktfotos würde diese Objektivität verwischen. Die Besonderheit des Duftes und nicht der Markenname war Kriterium für die Selektion der Düfte.

Lieber Herr Schnitzler, lieber Herr Dr. Kubartz ich danke Ihnen recht herzlich für das überaus erhellende Interview.

Ihre Helga König

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