Helga König im Gespräch mit Kersten Knipp über sein Buch "Die Erfindung der Eleganz", Reclam

Lieber Kersten Knipp, dieser Tage habe ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" ihr Werk "Die Erfindung  der Eleganz" rezensiert.  Dazu möchte ich heute einige Fragen an Sie richten.

Anbei der Link zur Rezension:  "Die Erfindung der Eleganz"

Helga König: In Ihrem Buch geht es im Rahmen von Eleganz auch um Sprache. Ist die Verfeinerung der Sprache hin zu einem elaborierten Code ein Phänomen der frühen Neuzeit oder hat es bereits Tendenzen hierzu an den südfranzösischen Höfen mit ihren Troubadouren im Mittelalter gegeben?

Kersten Knipp
Foto: Wilma Knipp

Kersten Knipp:
Dichtung ist ja immer in erster Linie Arbeit an der Sprache, insofern ist natürlich auch die Lyrik der Troubadoure Ausdruck sprachlicher Eleganz. Was die Epoche, die mich interessiert - also zentral das 17. Jahrhundert - ist das Bemühen um eine elegante, aber nicht so formalisierte Sprache, wie sie eben der Lyrik der Troubadoure, aber auch vielen der damaligen Dichter noch eigen ist. Es geht in jener Zeit um die Entwicklung eines colloquial style, wenn man will, also einer angenehmen Rede, deren Sinn es ist, eine Unterhaltung fließend, mühelos, spielerisch werden zu lassen. Ansätze dazu gibt es natürlich bereits vorher, ganz zentral etwa bei Michel de Montaigne, der im 16. Jahrhundert lebte. 

Helga König: Worin unterschied sich der Salon der Madame de Rambouillet im Bemühen von Sprachentwicklung und genereller Verfeinerung des Verhaltens von den Salons im 19. Jahrhundert, etwa jenem von George Sand?

Kersten Knipp: Der Salon der Madame de Rambouillet schuf die Grundlagen: alles war noch Experiment und Versuch. Man übte sich im lockeren Sprechen, dachte darüber nach, wie man sich während eines gibt und was zu beachten ist, wenn es fließen soll (einer der Regeln, auf die man sich damals verständigte: nicht immer nur von sich reden, auch nicht immer nur von den Themen, die einen selbst, aber nicht die anderen interessieren). All das fand statt im Modus zugleich vorsichtigen und verspielten Tastens, durchaus im Bewusstsein, etwas Neues zu schaffen. Der Salon von George Sand ist ganz anders situiert: Er entstand ja nach der französischen Revolution, die ja auch den Sitten aus der Zeit vor 1789 radikal Schluss machte. Es entwickelte sich - zumindest war es so geplant - eine revolutionäre Ästhetik, die etwa keine Standesunterschiede mehr zulassen wollte. Insofern waren die Franzosen des 19. Jahrhundert damit befasst, neue ästhetische Formen zu finden - eben auch im Gespräch -, da die alten schlicht weggefallen waren. Insofern standen auch sie vor etwas Neuem, nämlich der Aufgabe, mit der Ästhetik der Formlosigkeit, anders: dem Wegfallen veralteter Modelle umzugehen. Das ist im Kern die Situation, in der wir und heute noch befinden. 
Helga König
Helga König:
Die grausamen Hugenottenkriege in Frankreich hatten die Menschen und damit gewiss auch ihre Sprache verroht. Haben die Themen und das Bemühen um weniger Raubauzigkeit in den Salons möglicherweise zur Befriedung beigetragen?

Kersten Knipp: Das ist sehr schwer zu beantworten. Letztlich ja: die Politik nach den Hugenottenkriegen war ja darauf angelegt, das Land zu befrieden. Dazu gehörte auch, friedliche Formen der Auseinandersetzung zu finden. Und diese Form liegt ganz wesentlich im Gespräch. Insofern dienten die Salons, wenngleich indirekt, zur Befriedung bei. Ihr Anliegen entsprach dem Geist der Zeit. Und die in ihnen entstehende Kunst, sich auf den anderen einzulassen, zu bedenken, was er denkt, was ihn motiviert und wie er fühlt, ist eben auch das Prinzip aller Diplomatie. Insofern gibt es da Zusammenhängen, wie wenig intendiert sie im Einzelnen auch sein mochten. 

Helga König: Können Sie unseren Lesern kurz etwas zur "Académie francaise" sagen und weshalb Sie deren Gründung ein ganzes Kapitel gewidmet haben? 


Kersten Knipp:
Mein Buch handelt ja ganz wesentlich von der Eleganz des Gesprächs. Insofern lag es nahe, eine Blick auf die Académie française zu werfen. Denn auch sie entsprang ja dem Bemühen, das Land zu befrieden - indem man es sprachlich einte, gegen die Dialekte anging, die Frankreich zergliederten. Dazu gehörte dann auch, eine Art Standardmodell des Französischen zu schaffen, über das sich alle Franzosen verständigen können sollten, egal, in welchem Teil des Landes sie leben. Das Modell für diese Sprache war die des Hofes. In den Salons wiederum entstand zugleich eine geschmeidigere Sprache, die ebenfalls auf die entstehende Nationalsprache einwirkte. Das Kapitel zeigt also, welch große, ganz unterschiedliche Anliegen der Sprache bereits im 16. und 17. Jahrhundert zugetraut wurden. In jener Zeit entstand jenes Vertrauen in die Sprache als pazifierende Macht, das uns noch heute prägt. 

Helga König: Ein weiteres Kapitel haben Sie dem Italiener Baldassare Castiglione gewidmet. Was hat es mit seiner präferierten "Beiläufigkeit", sprich der entspannten Nonchalance auf sich und was setzte diese voraus?

Kersten Knipp:  Baldassare Castiglione (1478 - 1529) dachte in seinem Dialog über die Eigenschaften nach, die ein moderner Edelmann haben muss. Auch er plädierte für eine Abkehr von der alten Kriegerkaste. Stattdessen sann er über einen Menschen nach, der auf andere ganz Weise beeindruckte als seine auf den Krieg fixierten Vorfahren. Dazu gehört eben auch ein elegantes Verhalten - verdichtet in dem Begriff der "sprezzatura", wörtlich "Preislosigkeit", im übertragenen Sinn dann am besten vielleicht "Beiläufigkeit". Der Edelmann (und natürlich ebenfalls die Edelfrau) zeigt das, was sie auszeichnet - Bildung etwa, Geschicklichkeit auf dem Pferd, aber auch in bildender Kunst oder in fremden Sprachen - nicht aufgesetzt und aufdringlich, sondern eben beiläufig, ganz so, als wäre überhaupt nichts dabei. Dabei zeigt bereits der erste Pinselstrich, der erste Satz in der fremden Sprache, wie gut er oder sie sein Fach beherrscht. Das reicht, mehr braucht es nicht an Demonstration: Alle haben verstanden. Und alle sind beeindruckt. Und zwar gerade, weil das Talent so beiläufig - heute würde man vielleicht sagen: cool - in Szene gesetzt wird. Darüber verschafft man sich Anerkennung. 

Helga König: Was macht Michel de Montaigne so attraktiv für ihr Buch mit dem Titel "Die Erfindung der Eleganz"? 

Kersten Knipp:
Die französische Kultur - und mit ihr die europäische - verdankt Montaigne ungeheuer viel. Im besten Alter zog sich der ehemalige Bürgermeister von Bordeaux auf sein Landgut zurück und notierte in seiner Bibliothek, untergebracht in dem legendären Turm, seine Gedanken? Wer bin ich, was macht mich aus, wie sehe ich mich selbst? Fragen dieser Art griff er immer wieder auf - mit dem Ergebnis, dass er an eine feste Identität seiner Person wie der Menschen überhaupt - nicht mehr glauben mochte. Der Mensch ist ein Wesen des Augenblicks, schafft sich in jedem Moment neu, ist inkonstant, aber eben auch wandelbar. Aber wenn das so ist - dann ist es sinnlos ihn definieren zu wollen. Das hat auch literarische Folgen: Montaigne pflegt einen nicht-systematischen Stil, verzichtet auf eine strenge Gliederung der Welt, was sich in seiner Sprache ausdrückt: Sie fließt leicht und elegant, greift mal dieses, mal jenes auf - und liefert damit ein Modell der bürgerlichen Gesprächskultur, die auf das Offene, Unbestimmte ihrer Unterhaltungen ja ebenfalls großen Wert legte. Insofern würdige ich ihn in meinem Buch - und bedanke mich für die vielen Inspirationen, die er mir schenkte. 

Helga König: Zu Ludwig XIV. Er hat aus unterschiedlichen Gründen viel für die Entwicklung der Eleganz getan, nicht nur um seiner selbst willen, wie Sie schreiben, sondern in erster Linie als Instrument der Psychopolitik. Was genau meinen Sie mit Psychopolitik in diesem Zusammenhang?

Kersten Knipp
Kersten Knipp:
"Psychopolitik" ist eine subtile Form der Machtausübung. Sie verzichte auf äußere Gewalt, die Zwangsmittel des Staates und setzt stattdessen auf psychologische Mechanismen. Der König steht an der Spitze des Staates, eingerahmt nur von Gott und Gesetz. Insofern hat er absolute Macht, er ist die ferne, unerreichbare Gestalt, die insbesondere mit Blick auf den Hof vielerlei Gunst gewähren oder auch verweigern kann. Also ranken sich alle Bewohner des Hofes - "Höflinge" eben - danach, ihm nahe zu kommen. Dazu sind ihnen vielerlei Mittel recht - allesamt friedliche Mittel, da die Gewalt am Hof zumindest überwiegend Tabu ist. Auf diese Weise entstand unter den Höflingen ein Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten, das das System in der Summe im Gleichgewicht hier - und damit auch den König an der Spitze. Ich habe mich dafür interessiert, weil die am Hof üblichen Verhaltensweisen genau jene sind, die das aufsteigende Bürgertum vermeiden wollte und vermieden hat. Das Bürgertum wollte eine zwanglose elegante Kultur, frei von jenen Hintergedanken, die am Hof gang und gäbe waren. 

Helga König: Was versteht man unter "Galanterie" und was unter "Libertinage" und wo siedeln Sie deren Höhepunkte in der Literatur an? 

Kersten Knipp: "Galanterie" bezieht sich auf das Verhältnis der Geschlechter, genauer: ein ganz bestimmtes Verhältnis der Geschlechter, noch besser vielleicht einen gewissen Code, der ihr Verhältnis bestimmt. Er gründet auf Freundlichkeit und gegenseitiger Wertschätzung, jedenfalls der Bereitschaft zu dieser (alles Weitere wird sich dann weisen). Galanterie ist also zunächst einmal eine Art Verabredung, auf eine bestimmte Weise miteinander zu reden - nämlich wohlwollend und herzlich, dabei aber eine gewisse Zurückhaltung dokumentierend, die auch für Achtung steht: Insbesondere die Frauen wollen sich von den Männern ja nicht bedrängt, überrumpelt fühlen. Das Ganze kann erotisch grundiert sein, muss es aber nicht. Es ist vor allem ein Spiel, ein Umgang mit Konventionen, die stillschweigend vorausgesetzt werden. Kommt es zu erotischen Hintergedanken, sind sie zu zivilisieren - die (Nachmittags- oder Abend-)Gesellschaft soll ja weitergehen. Galanterie spielt also im geschützten Raum. Handfester geht es bei der Libertinage zu, die "Freiheit", die in dem Wort mitschwingt, ist im Zweifel eine des Stärkeren, des Gewiefteren. Sie kann in einer gemeinsamen, bewussten Übertretung von Normen bestehen, in ihrer krassesten Variante aber auch einen durchaus sadistischen Charakter entfalten, wie ihn Choderlos de Laclos in seinen "Gefährlichen Liebschaften"(1782) in Szene gesetzt hat. Das literarische - galante - Gegenstück dazu wäre vielleicht "Clélie" (1654-1660) von Madeleine de Scudéry. 

Helga König

Helga König:
Weshalb ist der Spanier Baltasar Gracían für Ihr Buch von Bedeutung? 

Kersten Knipp: An Gracián beeindruckt mich die intellektuelle Schärfe seiner Analysen, verbunden mit einer Gesellschaftskritik, die im Zweifel unversöhnlich ist. Gracián (1601 - 1658) erlebte die spanische Gesellschaft in der Phase ihres allmählichen Niedergangs, in Zeiten einer ungeheuren Prunksucht, ermöglicht durch das Gold aus den lateinamerikanischen Kolonien. Entsprechend groß war der soziale Druck, entsprechend rüde teils auch die sozialen Verhaltensweisen, mit den en die Menschen ihren Status verteidigten. In dieser Situation schaut Gracián den Menschen ins Herz und entdeckt, entdeckt jede Menge elend - aber auch Möglichkeiten, an sich zu arbeiten. "Die Natur lässt uns gewöhnlich im Stich, wenn es ums Beste geht - halten wir uns also an die Kunst". "Kunst" bedeutet in diesem Kontext soviel wie zivilisiertes Verhalten - diese rettet also den Menschen. Allerdings, schreibt Gracián wieder und wieder: Es gibt keine festen Regeln, jede Situation fordert unsere Intelligenz neue heraus, auch in ästhetischer Hinsicht. Damit ist ein Schritt in Richtung einer modernen Eleganz getan: Sie kennt vieles, nur keine festen Regeln. Das ist eine Herausforderung, in der wir uns noch heute zu bewähren haben.

Helga König: Gefallen haben mir Ihre Ausführungen über "Puder". Im Film "Barry Lyndon" kann man sich übrigens einen guten Eindruck davon verschaffen. Wo sehen sie den Zusammenhang zwischen der Verwendung von "Puder" und einer, im Rokoko dann immer manierierter werdenden Sprache? 


Kersten Knipp:
Vielen Dank für den Hinweis auf den Film, den ich noch nicht kenne. Das Puder erfüllte zunächst rein hygienische Zwecke. In Adelskreisen wurde es im 16. Jahrhundert populär: Im Zuge der Pest waren öffentliche Bäder geschlossen worden, das Wasser galt damals als ein Weg der Infektion. Zudem fürchtete man, könnten Frauen durch die Übertragungsmöglichkeiten des Wassers auch schwanger werden. So hatte das Wasser mit einem Mal einen schlechten Ruf, weshalb das Puder auf den Plan trat: einerseits zur Reinigung und Entspannung der Haut, ebenso auch als ästhetisches Mittel - die "vornehme Blässe" hat auch in der Konjunktur des Puders ihren Ursprung. Es gibt meines Wissen keinen direkten Zusammenhang zur marinierten Sprache der Zeit, eher einen indirekten in dem Sinn dass beides, Puder und eine gewisse Ausdrucksweise, im selben Milieu geschätzt wurde. Ich selbst habe das Puder an den Anfang einiger Überlegungen zur damaligen Mode gestellt, dem Ringen um ein schönes - elegantes - Aussehen, das bereits damals zu denselben Exzessen und Fragwürdigkeiten führen konnte wie heute: Narren und Närrinnen der Mode gab es schon immer. 

Helga König: War es die Manieriertheit, die den Calvinisten Jean-Jacques Rousseau auf die Palme brachte? Hatte er mit Eleganz generell nichts am Hut oder wollte er sie nur wahrhaftiger? 

Kersten Knipp: 
Rousseau zweifelte daran, dass menschliche Aufrichtigkeit in der modernen Gesellschaft seiner Zeit möglich sei. In diese Überzeugung spielten einige Erfahrungen aus jüngeren Jahren hinein - einmal wurde er wegen einer angeblichen Missetat, die er tatsächlich aber nicht begangen hatte, hart gezüchtigt. Es gelang ihm nicht, seine Pflegeeltern von seiner Unschuld zu überzeugen. Abgestoßen war er auch vom Pariser Bürgertum, das ihm immer noch zu steif, zu zeremoniös erschien. So wandte er sich ab, um ein vorgeblich authentisches Leben zu führen. Das Problem, wie das eines jeden Menschen: sein Mitteilungsdrang. Rousseau wollte von seinen Eindrücken berichten - und war dazu auf Menschen angewiesen, also jene, die er eigentlich meiden wollte. So konzentrierte er sich auf das Schreiben. Aber Schreiben setzt ja wieder Empfänger, also Menschen, voraus. Damit bewies Rousseau, dass ein isoliertes Leben von anderen nur unter größten Verrenkungen, unter größten Lebenslügen möglich ist. Sein Leben sehen ich ein wenig als Dokument des Scheiterns einer überzogenen, bis hin zum Narzissmus gesteigerten Individualität: Möglich ist sie nur auf Grundlage erheblicher Lebenslügen. Der Mensch ist zum Leben in Gemeinschaft geboren.

Helga König: Welche Bedeutung während der Aufklärung hatte Denis Diderot im Zusammenhang mit ihrem Thema? 

Kersten Knipp:
Diderot ist so etwas wie der Gegenpol zu Rousseau. Die beiden, zunächst Freunde, enzweiten sich ja - ihre Aussichten über ein angemessenes Leben gingen auseinander, was Rousseau, im Zweifel ein eher unduldsamer Charakter, nicht hinnehmen mochte. Diderot war von Rousseaus Theorie des weltabgewandten Lebens um der Authentizität willen, alles andere als überzeugt. Die Diskussion spiegelt sich auch in seinem "Paradox des Schauspielers", verfasst ab 1770, fasst er seine Bedenken zusammen. Der Dialog ist eigentlich auf das Schauspiel gemünzt, lässt sich aber auch als eine Art Theorie des gesellschaftlichen Auftritts lesen: Im Vorteil ist, wer sich bewusst ist, dass er eine Rolle spielt. Er braucht sich nicht mit jeder seiner Äußerung zu identifizieren, ein Umstand, der ihm die nötige Leichtigkeit zu einem angenehmen Auftritt verschafft. Gesellschaft ist eben auch ein Spiel. Und Diderot bietet Überlegungen, es mit einiger Eleganz zu bestreiten. 

Helga König: Nach der französischen Revolution war es mit der Manieriertheit, gemeint als übersteigerte Vorstellung von Eleganz, erst mal vorbei. Doch dann treten Dandys wie Oscar Wilde hervor. Ist es die "Beiläufigkeit" in seinen Texten, die ihn noch heute für uns unwiderstehlich erscheinen lassen? 

Kersten Knipp: Ich meine schon. Wilde ist modern in dem Sinn, dass er sich - wie alle seine Zeitgenossen - in einer Situation zurechtfinden muss, die Verbindlichkeiten nicht mehr kennt: Die französische Revolution hat alle Traditionen geschleift, seitdem gibt es keinen Codex mehr. Also ist man darauf angewiesen, selbst, ohne Anleitung etwas aus sich zu machen. Das kann zu ungeheurer Konformität führen - niemand will auffallen. Aber die Situation bietet eben auch enorme Freiheiten. Wilde hat sich sprachlich wie modisch genutzt. Damit ist er ein früher Vorreiter jenes individuellen Stils, wie er bis heute die Gegenwart prägt. Sein Motto: "anything goes". 

Helga König: Ihr Schlusswort mit dem Titel "Eleganz und Ethik" beginnt mit einem Zitat von Ali Benmakhlouf. Es lautet: "Als Schule des Pluralismus hilft der Dialog, aus sich selbst herauszutreten." Weshalb haben Sie dieses Zitat an den Anfang ihres Schlusswortes gesetzt? 

Kersten Knipp: Das Zitat führt fort, was sich im 17. Jahrhundert andeutete: Jedes Gespräch ist riskant. Es kann zu neuen Überlegungen führen, zu Aspekten, die man bislang nicht bedacht hatte. Im äußersten Sinn kann es ein ganz neues Weltbild entstehen lassen, mit dem man sich dann auseinandersetzen muss. Zugleich kann das Gespräch eben auch einen Eindruck von der Vielfalt möglicher Weltsichten verschaffen, davon, wie im äußersten Fall schockierend unterschiedlich wir Dinge sehen können Das ist heute, in einer Welt, in der Distanzen nicht mehr so eine Rolle spielten wie früher, ganz besonders akut. Globale Nachbarschaften rücken zusammen, dadurch entsteht Konfliktpotential. Das Gespräch lehrt uns, damit zu rechnen und uns darauf einzustellen. Insofern ist das Gespräch potentiell auch dieses: eine Schule des Pluralismus. Und darum entsprechend herausfordernd. Wir müssen lernen, uns der Vielfalt zu stellen, also: aus uns herauszugehen.

Lieber Kersten Knipp, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Gespräch.

Ihre Helga König 

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