Helga König im Gespräch mit Willi Achten über seinen neuen Roman "Rückkehr", Piper

Lieber Willi Achten, dieser Tage habe ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" Ihren neuen Roman "Rückkehr" besprochen. Dazu möchte ich heute einige Fragen an Sie richten.

Anbei der Link zur Rezension: "Rückkehr"

Helga König: Sie haben Ihrem Roman ein Zitat Joseph von Eichendorffs vorangestellt. Dieses lautet "Wir sehnen uns nach Hause und wissen nicht, wohin." Sind Eichendorffs Worte gewissermaßen die Grundmelodie von "Rückkehr" und falls ja, weshalb? 
Willi Achten

Willi Achten:
Ja, Eichendorffs Worte sind die Grundmelodie, denn Jakob Kilv hat ja - wie so viele - dieses Zuhause verloren und versucht nun, wieder zugehörig zu werden, zu seinen Freunden, seiner Heimat, aber geht das? Kann man ein neues Leben im alten beginnen? Eichendorff drückt diese Sehnsucht nach Heimat und dem Gefühl "zu Hause zu sein" aus, und wie schwer die Suche ist, etwas Verlorenes wiederzufinden.

Helga König: Ist der Protagonist Jakob Kilv von Ihnen mehr als ein Beobachter der Geschehnisse im Alpendorf gedacht, sozusagen als einer, der nie wirklich ganz dazugehört hat oder welche Rolle im Roman ist ihm ansonsten zugedacht? 

Willi Achten:
Nein, er ist der Aktivposten. Ohne Jakob käme ja die ganze Retrospektive gar nicht ins Rollen. An Jakob müssen alle noch mal das, was sie verdrängt haben, ans Licht holen, quasi eine Selbstbetrachtung machen. Dazu haben sie gewiss anfangs gar keine Lust, aber Jakob stößt sie immer wieder auf die Vergangenheit. Und: Ohne dass alle die Vergangenheit noch einmal anschauen und bewerten, gibt es keine Zukunft im Dorf. Vielleicht für niemanden. Man muss die Geister loswerden. Und wie das so ist: Sie leben im Dunkeln. 

Helga König: Was genau macht Jakobs Freund Bruno für alle so attraktiv? 

Willi Achten: Er ist der Star, sieht gut aus, ist unabhängig, erwachsen, niemand redet ihm mehr rein. Er ist mutig, er weiß Menschen zu lesen. Er geht mit ihnen Beziehungen ein, ohne von ihnen abhängig zu werden. Ein moderner Typ quasi. Jemand, der viele (Frauen) liebt und den viele lieben. 
Helga König

Helga König:
Können Sie den Lesern Jakobs Vater kurz charakterisieren und erläutern was ihn von seinem Sohn und dessen Freunden unterscheidet? 

Willi Achten: Jakobs Vater ist die tragische Figur. Beheimatet in seinem Beruf und in der Ornithologie. Er liebt, was er tut. Auch seine Frau. Aber die Eifersucht, von der darf man annehmen, dass sie ihn zerfrisst. Er ist ein anderer Liebender als Bruno, der ein Tänzer auf vielen Seilen ist, wie es im Roman heißt. Jakobs Vater spricht nicht, er kapselt sich mit seiner Kränkung, seiner Eifersucht ab, und das zerstört alles, für alle. Er ist das Zentrum des Dorfs. Wenn er scheitert, scheitern alle. 

Helga König: Was bezweckten Sie als Sie Jakobs Mutter als Liebhaberin der Musik Mahlers präsentierten und wie soll man den Text des Wunderhorn-Liedes, "Das himmlisches Leben" in diesem Zusammenhang deuten? 
Willi Achten
Foto: Heike Lachmann

Willi Achten:
Es ist eine positive Utopie. Es ist das Lied, das die Mutter wegträgt von der Familie und hin zu sich selbst. Die Musik öffnet die Türen. Und hinter der Tür wartet ein neues Leben, das sie erkennt und dann realisiert. Die Mutter ist da in gewisser Hinsicht auch skrupellos. Sie lässt Jakob zurück. Eine schlimme Erfahrung für ihn, die ihn sicher mehr prägt als die Brandnarben.

Helga König: Jakobs Mutter singt aber auch seine Jugendliebe Liv tut es und die geliebten Singvögel, die es zu retten gilt, zwitschern auch. Zufall? Was wollen Sie als Autor den Lesern damit sagen? 

Willi Achten: Das Singen öffnet das Leben. Es ist ein melancholischer Jubel, dem man sich da überlässt. Die Musik und das Singen führen ins Weite, hinaus aus dem Dorf. Das gilt ja für Zugvögel ganz besonders. 

Helga König

Helga König:
Sie schreiben: "Jeder hat eine Liebe, die eine Wunde zurücklässt, was nicht weiter schlimm ist. Schlimm ist nur, wenn man gar nichts hat, keine Wunde, keine Erinnerung." Würden Sie den Abenteurer Bruno dahingehend als "wundenlos" betrachten und falls ja, weshalb? 

Willi Achten: Er muss eine Wunde haben, was den Verlust seiner Eltern angeht. Man ahnt es, aber weiß es nicht. Er geht über den Verlust hinweg, nimmt sich, was und wen er braucht im Dorf. Aber bleibt in einem Sicherheitsabstand. Er liebt sparsam und beherzigt das Motto von Fred, dem Kellner: Lieb sie nicht zu sehr. Ganz anders als Jakob und dessen Vater. Sie sind große, vielleicht auch tragische Liebende. Bruno nicht. Interessant ist es, wie Jakob sich am Ende des Romans verhält. Ob er noch Vaters "Modell der Liebe" folgt oder eher Bruno? 

Helga König: Was bezwecken Sie am Liftmogul Bolltner den Lesern aufzuzeigen? 

Willi Achten:
Bolltner zeigt, dass wir einen Blick auf die Welt haben, der von Ausbeutung geprägt ist. Gut ist, was mir und meinem Verdienst dient. Koste es die Umwelt, was es wolle. Es gibt ja diese Sprengungen von Bergen in den Alpen. Das große Geld – auch dafür stehen die Alpen. Denken wir an Ischgl, an St. Anton: Dort geht man buchstäblich über Leichen, wenn wir an den Corona-Ausbruch denken. Es ist eine Mafia, die die Alpen ausbeutet. Korrigiert wird nur Weniges. Der Skizirkus muss weitergehen. Immer weiter! 

Helga König: Weshalb trifft es Jakob bei dem fatalen Brand? 

Willi Achten: Er ist der derjenige, der nicht im Bilde ist, der blind ist für das, was sich abspielt – hinter den Kulissen. Wer blind ist, den trifft es. Gleichzeitig ist er auch neben seinem Freund Picco derjenige, der empfindsam ist, der fühlen kann. Die anderen waren harte Burschen. Sie fangen buchstäblich nicht so schnell Feuer. Jakob und sein Vater schon. Sie sind, wie man heute so oft sagt: "vulnerabel".

Helga König: Der letzte Satz in ihrem Buch, den Jakob formuliert, heißt " Ich bleibe, schreibe ich mit dem Finger in die Luft und breche auf." Was möchten Sie dem Leser mit diesen Worten vermitteln?

Willi Achten: Ein offenes Ende. Da muss jeder seine Antwort finden. Ich will da nichts interpretieren.

Lieber Willi Achten, herzlichen Dank für das schöne, aufschlussreiche Interview.

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