Helga König im Gespräch mit dem Künstler Cornelius Rinne über sein Buch "Kunst kann man nicht kaufen!", Magenta Verlag

Lieber Cornelius Rinne, Sie haben in Hannover zunächst Kommunikationsdesign studiert und mit Diplom abgeschlossen, bevor Sie im Anschluss daran Kunst studierten und im Zuge der "free international University" dann an einer freien Studiengruppe Kunst im Atelier von Joseph Beuys, in der Kunstakademie in Düsseldorf, beteiligt waren. Tätig sind Sie seit langen Jahren als Illustrator, Designer sowie freier Künstler und haben 20 Jahre lang Kurse als Dozent mit Schwerpunkt Aktzeichnung geleitet. Vor einigen Tagen habe ich Ihr Buch "Kunst kann man nicht kaufen!" auf "Buch, Kultur und Lifestyle" vorgestellt, deshalb möchten ich heute einige Fragen an Sie stellen.

Anbei der Link zur Rezension: https://helga-koenig-kunst.blogspot.com/2018/11/rezension-kunst-kann-man-nicht-kaufen.html

Helga König:  Sie haben zu Ende Ihres Buches "Kunst kann man nicht kaufen!" 10 Thesen zur Kunst aufgestellt. Dort sagen Sie, dass Kunst deshalb nicht käuflich sei, weil diese den gesamten Schaffensprozess eines Werkes ausmache. Wie dürfen sich unsere Leser das vorstellen? 

 Cornelius Rinne
https://cornelius-rinne.com/
Cornelius Rinne:  Die Thesen stehen zwar am Ende des Buches, sie sind aber wesentlich früher entstanden und beruhen auf zahlreichen Diskussionen, die ich in sozialen Netzwerken und auch live in den Jahren 2006 bis 2009 geführt habe. Damals kam ich erstmals darauf, dass man nicht willentlich Kunst machen kann, die dann als Bild oder ähnliches am Ende steht. Es ist viel mehr so, dass ein Künstler, ausgelöst durch ein Initial, in einen Prozess hineintritt. Das Initial kann verschiedenes sein, eine Fragestellung, eine Begegnung, ein Erlebnis usw. Wenn dieser Prozess begonnen hat, versucht der Künstler das, was in ihm vorgeht, festzuhalten, er erstellt also ein Dokument dessen, was mit ihm passiert. Hierzu benutzt er ihm eigene Ausdrucksweisen. Er gibt allerdings in den Dokumenten keine allgemein gültigen Antworten, sondern dokumentiert zunächst nur für sich. Das so entstandene Kunstdokument ist somit der Abschluss des künstlerischen Prozesses, hierdurch ist es ein Teil der Kunst und nicht die Kunst selber. Idealer Weise ist der gesamte Kunstprozess im Dokument nachspürbar und löst bei demjenigen der damit in Verbindung kommt einen eigenen Prozess aus. 

 Helga König
Helga König: Was genau hat man erworben, wenn man beispielsweise Lyonel Feiningers "Segelboote" gekauft hat? 

Cornelius Rinne:  Zunächst mal ein Bild und keine Segelboote. Dann hat man eine Sichtweise von Segelbooten und die darin dokumentierten Träume, Erinnerungen, Gefühle, Gedanken usw. erworben. Dieses Dokumentierte sollte aber, aus meiner Sicht, nicht versucht werden nachzuvollziehen, sondern man sollte sich bewusst sein, dass es um die, von Feininger ausgelöste, eigene Sichtweise auf den Bereich Segelboot mit all den eigenen Erinnerungen und Gefühlen geht. Man hat also die Sicht auf seine eigene Sozialisierung erworben, die, angestoßen von Feiningers "Segelbooten", einen eigenen Kosmos eröffnet. 

Helga König: Kann man die Dokumentation eines bestimmten Schaffensprozesses eines Künstlers überhaupt in ihrer Tiefe verstehen, wenn man nicht im Dialog mit dem Künstler steht, beispielsweise weil er schon verstorben ist? 

Cornelius Rinne: Ein Künstler entlässt ein Bild, einen Text, ein Stück Musik … in die Eigenständigkeit. Ihm bleibt der Schaffensprozess von dem er sich aber immer weiter entfernt. Er wird selber auch immer mehr zum Nutznießer seines eigenen Werks. Er ist irgendwann auch ein Außenstehender. Daher ist es weder förderlich noch hemmend sich mit dem Künstler zu unterhalten, Sie können sich aber genau so gut mit jedem x-beliebigen Interessierten unterhalten. Dennoch kann es recht unterhaltsam sein, mit dem Künstler zu reden, denn mit den meisten Werken sind auch Anekdoten verbunden. Diese erklären ein Werk zwar nicht, bringen es dem Betrachter, aber durchaus näher. Es geht also nicht um Verständnis, sondern um Annäherung und die daraus resultierende Selbsterkenntnis. 

Helga König: Sie sagen, Kunst müsse die Suche nach Neuem innewohnen. Wie verhält sich das bei dem von Ihnen erwähnten Werken von Yves Klein, dessen Blau ja fast schon zu seinen Lebzeiten zu einer Marke geworden war? 

 Cornelius Rinne
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Cornelius Rinne: Nun, Yves Klein hat die totale Reduktion in der Kunst eingeführt. Sicherlich lag das auch in der zeitgeistigen Luft Anfang der 60er Jahre des 20ten Jahrhunderts. Dennoch hat er sich, gerade bei seinen "monochrome bleu", durch eine große Eigenständigkeit ausgezeichnet. Die Reduktion hat er ja auch mit anderen Farben, Rot und Gold, angewandt, aber gerade das Blau war für die meisten Rezipienten am faszinierendsten. Auch ich habe mich lange gefragt und dies auch immer wieder, bei einem Künstlerstammtisch im Krefelder Kaiser Wilhelm Museum, diskutiert, was die Faszination des Blau ausmacht. Irgendwann bin ich dann täglich, mit kleinen Papptäfelchen, in das Museum gelaufen und habe meine Farbproben mit dem Original, damals noch nicht unter Glas, verglichen. Nach ca. einem Monat hatte ich dann eine befriedigende Annäherung geschafft. Ich habe dann für mich und meinen Schwiegervater Kopien angefertigt, diese sind allerdings in den Ecken wesentlich stärker abgerundet. Die Kunsthistorikerin Marianne Stockebrand war dann irgendwann bei uns zu Besuch und schreckte im ersten Moment zusammen und sagte: "Ooh, ein Yves Klein!" um nach ca. 10 Sekunden hinzu zu fügen: "Ach nein, die Ecken sind zu rund!" Ich hatte aber mein Ziel die Farbe zu treffen erreicht und erfreue mich noch täglich an meiner Dokumentation der Auseinandersetzung mit Yves Klein. 

 Helga König
Helga König: Wann haben Sie bei einem Ihrer Werke besonders viel Mut benötigt und weshalb war das so?

Cornelius Rinne: Ich glaube den größten Mut habe ich gebraucht als ich mich, 13jährig, im Internat in Scheeßel lebend, mit Kunst infiziert habe. Damals waren wir etliche begabte Pubertierende, die in einen Wettstreit eintraten. Jeder wollte den anderen überflügeln. Wir stellten uns Che Guevara Porträts her. Dann wurden die Beatles umgesetzt und jeder versuchte das beste Porträt zu machen, da das dann in der Stube aufgehängt wurde. Diesen Schritt zu gehen und die gesamte Intention, die einen antrieb etwas auf ein Blatt Papier zu bannen, hat vermutlich den meisten Mut verlangt. Ich muss bei jedem Dokument das ich beginne daran zurück denken. 

Helga König: Was verführt einen Künstler zu Hochmut und weshalb ist dieser eine große Gefahr für Kunstschaffende? 

Cornelius Rinne: Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Künstler werden durch zu frühe, zu intensive und monetär zu hohe Anerkennung, leicht vom Hochmut befallen. Das macht geistig träge und der Künstler beginnt sich zu wiederholen. Er schafft nicht mehr, sondern er beginnt zu produzieren. Dies wird teils durch Berater noch angestachelt. Durch solches Verhalten entwertet er aber seine Arbeit und die Dokumente die er erstellt. Deshalb muss er versuchen sich vor solchem Hochmut zu schützen. 

Helga König: Kunst ist ein Beitrag zur Aufklärung nach Ihrer Definition, weil sie zum eigenen Denken anregen soll. Kant, so liest man, war der bedeutendste Philosoph für die Freimaurer, auch wenn er der Loge selbst nicht angehörte. Inwiefern sind Sie als Freimaurer von dessen "sapere aude" in Ihren Dokumentationsbetrachtungen inspiriert?

 Cornelius Rinne
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Cornelius Rinne: Kant war sicherlich ein führender Philosoph in der Zeit der Aufklärung. Sicherlich hat mich mein gesamtes bisheriges Leben auch die Aufforderung "Habe Mut Dich Deines Verstandes zu bedienen" ("sapere aude") unbewusst in meinem Denken und Handeln begleitet. Sicherlich strebe ich aber auch danach, es zu wagen, weise zu sein. Das beschreibt dann aber auch freimaurerisches Handeln, denn ein Freimaurer trachtet danach, sich zu vervollkommnen. Er wird das Ziel nie erreichen, er bemüht sich aber darum. Hierin sehe ich aber auch einen wichtigen Punkt der Aufklärung, die uns den Ansatz gegeben hat, uns um immer mehr Tiefe im Betrachten aller Situationen und Gegebenheiten, in die wir hinein kommen, zu bemühen. Für mich ist allerdings Kant nicht der bedeutendste Philosoph, ich mag Nietzsche sehr und auch Schopenhauer und Friedrich Theodor Vischer regen mein Denken an. Für die Freimaurer halte ich, aus dieser Zeit, Gotthold Ephraim Lessing und auch Goethe für wesentlich wegweisender. 

 Helga König
Helga König: Um Dokumentationen von Schaffensprozessen zu begreifen, ist, soweit ich Sie verstanden habe, eine veränderte Kunstberichterstattung notwendig, die eher Fragen stellt als Werturteile abgibt. Wie könnte das am Beispiel einer Gemäldes Ihres Freundes Michael Weber ausschauen? 

Cornelius Rinne: Ohje, da muss ich ja ein einzelnes Bild herausnehmen. Nun gut, dann wähle ich ein Werk aus seinem Zyklus "Bahnhofstraße". Als Vorabinformation weiß ich, das es um die Deportation der Juden in der dunklen Zeit geht. Der Zyklus besteht aus ca. 10 Bildern. Da ich Michaels Assemblagen sehr schätze, nehme ich den Artefakt "Meines Vaters Hemd". Das Original habe ich erstmals gesehen als wir eine Ausstellung für das Museum in Zandvoort zusammen stellten. Es ist eine Bildtafel auf die ein Herrenhemd aufgebracht und bemalt ist. Das Hemd stellt die Haltung der Kreuzigung dar. Unter dem Linken Arm des Hemdes sind Symbole in die Farbe eingeritzt. Ich erkenne das Symbol des Nationalsozialismus neben einem David-Stern und einem Kreis. Die Symbole sind eingeschachtelt. Ich assoziiere ein Archiv. Abgelegt und fein säuberlich aufbewahrt. Bei dem Hemd schießt mir zunächst das letzte Hemd und somit die Endlichkeit des Seins durch den Kopf. Dann schaue ich genauer hin und sehe das die rechte Hemdhälfte schwarz bemalt ist. Bilder von Waffen-SS-Männern schießen mir in den Kopf. 

Die andere Hemdhälfte ist in einem an Uniformen erinnerndes ins Khaki gehendes Braun, in Senfgelb und Rotbraun gehalten. Die Formen erinnern mich an einen Stadtplan. Ich denke an die Ausdehnung von Gedankengut. In mir kommt die Frage auf ob der Träger des Hemdes Opfer, Täter oder Mitgerissener war. In jedem Fall ist er für mich angeklagt worden, denn daran erinnert mich die Kreuzhaltung. Das Hemd beweist mir wesentlich mehr persönliche Betroffenheit als die archivierten Symbole. Ich frage mich, was ich in der dunklen Zeit getan hätte. Wo hätte ich gestanden? Welche Art von Hemd hätte ich getragen? Aus "Meines Vaters Hemd" wird plötzlich das meine. Ich überlege wie es zu einer solch menschenverachtenden geschichtlichen Situation kommen konnte. — Ich fühle mich hilflos. Was kann ich tun? 

Es hört sich vielleicht nicht viel anders an als das, was wir mal als Interpretation in der Schule gelernt haben. Ich habe bei meinen Kindern allerdings die Erfahrung gemacht, dass heute die Interpretationen nicht aus freien Assoziationen bestehen dürfen, sondern das abfragbares, auswendig gelerntes Wissen bewertet wird. So gehen meist auch Kunsthistoriker vor. Dadurch bin nicht ich mit meinem freien Denken und meinen Gefühlen gefragt, sondern ich erfülle die Aufgabe des Auswendiglernens und werde damit manipulierbar.

Helga König: Sie schreiben, bei dem Rezipienten eines Dokumentes soll ein Prozess ausgelöst werden. Sind unter diesem Gesichtspunkt große Ausstellungen oder laute Vernissagen nicht eher kontraproduktiv? 

Cornelius Rinne: Vernissagen sind sicher nicht dazu gedacht, um sich in die Ausstellungsstücke zu vertiefen. Ich besuche Ausstellungen, die ich interessant finde, und auf deren Vernissagen ich war, oft ein zweites und drittes mal. Die Vernissage dient eher als gesellschaftliches Ereignis, bei dem Menschen sich zum einen präsentieren können, aber auch durch ihre Anwesenheit die Wichtigkeit der Ausstellung unterstreichen. Die gehaltenen Laudationes sind oft auch eher Selbstdarstellungen des Redners. Konsequent fand ich da einen befreundeten Künstler aus dem Saarland, der darauf besteht die Einführungsrede selber zu halten. 

Absolut verwerflich ist es, in meinen Augen, auch noch Musiker, die zusätzlich von der Ausstellung ablenken, auftreten zu lassen. Dann wird eine Vernissage zur reinen Party. Bei Großausstellungen muss man sich sicher ein dickes Fell zulegen, um nicht vom Publikum von den Exponaten abgelenkt zu werden. Das bedarf einiger Übung, ist aber machbar. 

Helga König: Sie schreiben, dass Kunst einen, sowohl als Schaffenden als auch als Rezipienten, gefangen nehmen würde und ein Leben lang nicht mehr los lasse. Können Sie diesen Gedanken bitte näher ausführen? 

 Cornelius Rinne
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Cornelius Rinne: Es ist sicherlich so wie bei vielem, das einen begeistert. Jemand, der sich für Fußball interessiert gibt diese Leidenschaft nicht plötzlich auf, denn er ist so tief in der Materie, dass er sämtlich Feinheiten mitbekommen möchte. Bei der Kunst ist es sicher ähnlich. Als junger Mensch, in der heutigen Zeit, begeistere ich mich vielleicht für Streetart, einer jungen und öffentlich zugänglichen Kunstsparte. Plötzlich entdecke ich dann, neben der faszinierenden handwerklichen Ausführung, auch noch den eingebauten Witz oder die Sozialkritik. Ich werde durch die einzelnen Werke auf andere aufmerksam. Ich beginne im Internet zu recherchieren. Ich stoße auf YouTube-Videos, nähere mich der mit den Bildwerken im Dialog stehenden Musik an und entdecke passende Texte. Hinweise lenken meinen Blick auf andere Kunstrichtungen wie Popart, über die ich dann vielleicht bei der neuen Sachlichkeit lande … Im Bereich Kunst ist fast alles mit allem verbunden und ich gerate in einen Sog. Ich bin infiziert und werde die erlangte Besessenheit nie mehr los werden. Ein Leben lang wird mich die Kunst begleiten.

Lieber Cornelius Rinne, herzlichen Dank für das wirklich aufschlussreiche, schöne Interview.

Ihre Helga König


Im Fachhandel erhältlich 

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